Laudatio auf Cornelia Schleime

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2004

Laudatio auf Cornelia Schleime

Es gibt heute nur wenige Künstler und Künstlerinnen, die subjektive Authentizität, d.h. die unklischierte Realität ihres Ego in eine ästhetische Sprachform transformieren. Zumeist wird das fiktionale Bild eines individuellen Lebensstils als Identitätsaussage inszenatorisch aufbereitet. Bei Cornelia Schleime ist das anders. Ihrer nie versiegenden Malleidenschaft folgend, setzt sich die Künstlerin immer wieder von neuem den Spannungen kontroverser Erfahrungen und daraus aufkeimender Empfindungen aus. Der Vollzug des Zeichnens und Malens reagiert auf Wahrnehmungen der Gegenwart, reaktiviert ins Unbewusste abgesunkene Eindrücke, die oft bis in die Kindheit zurückreichen, und konstruiert das künstlerische Bild als Metapher für die Amalgamierung der erinnerten Erfahrung mit dem Jetzt- Empfinden.

Die jüngst entstandene Bilderserie, die sich dem seit 1978 amtierenden Papst Johannes Paul II. in komplexen Umkreisungen zu nähern sucht, ist signifikantes Beispiel der bildnerischen Strategie. Offensichtlich der Presse entnommene Vorlagen werden in einer malerischen Anverwandlung ihrer glatten Medienästhetik entzogen und auf Widersprüche der Person und der Institution Kirche zentriert. In dem Maße, in dem Cornelia Schleime mit dem Sog eines aus brüchiger Farbigkeit entwickelten Zooms das Gesicht des von Krankheit gezeichneten Papstes aus den Verpuppungen der Amtstheatralik herausholt, projiziert sie ihre Erinnerungen an die katholischen Rituale ihrer kindlichen Erziehung und daraus resultierende Reflexe ihrer Psyche in die Porträtserie hinein. Was sie an Johannes Paul II. anzieht, ist die Auswirkung biografischer Erfahrungen während der nationalsozialistischen deutschen Okkupation und der kommunistischen Diktatur auf die Art und Weise, wie der Pole Karol Wojtyla seine Amtspflichten ausübt. Wie kein anderer Papst vor ihm nimmt er die sozialen und weltpolitischen Probleme der Zeit  in den Blick und lässt sich dennoch in seinen konservativen Moral-vorstellungen nicht am Zeitgeist messen. Die Antizipation paradiesischer Erlösung in den Transzendenzgebärden der Liturgie hat seine mahnende Sicht auf die apokalyptischen Dimensionen menschlichen Unrechts in unserer Zeit nicht verunklaren können. Mit ihrem ausgeprägten Gespür für Rollen- und Selbstdarstellungsgesten registriert Cornelia Schleime die Brüche zwischen dem medienwirksam ausstrahlenden Charisma und der Unangepasstheit dieses Menschen, die ihr Rückbezüge auf eigenen Befindlichkeiten erschließen. Es ist dieses besondere Persönlichkeitsprofil, durch das Johannes Paul II. in der malerischen Anäherung für Cornelia Schleime ein Teil ihrer Selbstbezogenheit wird.[1]

Dabei besitzen Zeichnen und Malen unterschiedliche Dis-positionen. Zeichnungen sind keineswegs Vorstudien oder Entwürfe für Gemälde, sondern eigenständige spontane Notate, in denen sich wie in einem Zettelkasten Eindrücke aus flüchtigen Momenten und Eingebungen der Phantasie sammeln. Dagegen ist die Malerei konstruktive Annäherung an ein Nicht-Gewusstes; in ihr „gerinnt die Zeit“[2], lösen sich die Fesseln des Wissens, hebt sich die Grenze zwischen der äußeren Welt und dem eigenen Innern auf. In einem Gespräch mit Christiane Bühling beschreibt Cornelia Schleime den Malprozess als Spurensuche ihrer „inneren Sehnsucht“ nach etwas, von dem sie „selbst nicht weiß, wie es aussieht, das in der Arbeit aber Gestalt annimmt“.[3] Ihre Bilder visualisieren somit das Exerzitium eines in Werkserien sich vollziehenden und immer wieder neu einsetzenden existenziellen Fragens – ein Prozess, durch den die Künstlerin zu sich selbst findet. In einem Statement bekennt sie: „Ich kann mich nur aushalten, wenn ich male, sonst bin ich unerträglich.“[4]

Auf einem Erinnerungsfoto von 1993 gibt uns die Künstlerin Einblick in ihre Strategie der Entgrenzung von Zeit und Raum, mit der sie ihre Subjektivität im Kunstprozess durchleuchtet. Auf dem gestellten, mit Selbstauslöser belichteten Foto sehen wir sie als Mädchen im kurzen Trägerkleid. An überlangen Zöpfen, die fortan das Leitmotiv einer größeren Werkgruppe sein werden, zieht die kindliche Person einen Kinderwagen rückwärts. Doch festen Schritts setzt sich das Mädchen, das die Zukunft seines Erwachsenseins bereits hinter sich herschleppt, der Vergangenheit aus. Diese biografische Erinnerung, die Erlebnisse aus der eigenen Kindheit ebenso wie Erfahrungen als junge Mutter mit dem Sohn Moritz einschließt, entfaltet in Zeichnungen langbezopfter, in ihrer unbewußten erotischen Ausstrahlung aufreizender Mädchen ein vielgesichtiges Eigen-leben. Die aus dem Aquarellkasten fließenden Zopfkapriolen changieren zwischen den Zwangsritualen srangulierender Haar-bändigung und fühlerhaft sich verselbständigenden Wuche-rungen. In ihnen verschlüsseln sich gleichermaßen erotische Phantasien und psychische Albträume der Pubertät mit der Doppelbödigkeit der Parodie.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang noch eine weitere Fotografie, die Cornelia Scleime mit einer signifikanten Übermalung bis heute als Selbstporträt auf ihrer Visitenkarte verwendet. Das Foto entstand 1992 in Afrika während ihrer Studienreise durch Kenia und zeigt die Künstlerin an der Delta-Mündung des Tana-Flusses in den Indischen Ozean. Ihren Körper hat sie mit weitgreifenden fühlerhaften Schwingen ausgestattet. Diese Sehnsuchtsmetapher für einen Ego-Zustand, der die Überwindung der Koordinaten von Raum und Zeit ermöglicht, taucht als Motiv schon ein Dutzend Jahre zuvor, in einer Radierung von 1980, auf, als die Künstlerin – noch an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden studierend – vieles erprobte, um den normierten Vorstellungen einer Kunst im gesellschaftlichen Auftrag zu entfliehen. Eckhart Gillen, der diese Radierung in seinem Beitrag zum Katalog Tiefe Blicke 1985 abgebildet hat, beschreibt aus eigener Beobachtung das Lebensgefühl, das Cornelia Schleime in dieser Zeit für sich kultivierte, als Rückzug in ihre Träume mit Hilfe von „virtuellen Reisen“, die sich in übermalten Kunst-reproduktionen niederschlagen. In der Sächsischen Landes-bibliothek Dresden findet sie bei Francis Bacon, Arnulf Rainer, Cy Twombly parallele Bildgesten zu ihrer eigenen Innenwelt.[5] Großformatige Horizontbilder formulieren – durchglüht von einer gelbbraunen Patina – ein romantisches Panorama der Innerlichkeit als Gegenbild zu den ideologiegesättigten Gesellschaftsentwürfen des offiziellen DDR-Sozialismus. Mit dem Blow-up einer Filmbildprojektion konzentrieren sie sich gänzlich auf den Mikrokosmos der Psyche. Fragile Gestalten, die Selbstbildnishaftes in sich bergen, balancieren auf einer Scheidelinie zwischen Nähe und Ferne oder versuchen den Kokon ihrer Einschnürung abzustreifen. Piktogrammhafte Zeichensetzungen auf Transparentpapier, das von Licht durch-leuchtet wird, performative Malaktionen und partiturhafte Bilderskripten, deren poetischer Fluss aus der Choreografie des Unterbewussten aufsteigt, erproben ein agogisches Aufschreiben von Imaginationen, das der surrealistischen écriture automatique verwandt ist.

Solcher Eigen-Sinn wird 1981 von den DDR-Behörden mit Ausstellungsverbot geahndet. Die Künstlerin antwortet darauf mit der Beantragung ihrer Ausreise. 1984 verlässt sie die DDR, ihr Œuvre muss sie in Ostberlin zurücklassen, es wird für immer verschwunden bleiben. In der westdeutschen Kunstszene erfährt sie – wie auch andere ihrer Ostberliner und Dresdner Freunde, die ebenfalls von Ost nach West wechseln – „eine Ernüchterung ihrer Sicht auf die Dinge und die Welt.“[6]

Dünne Farb- und Tuscheflüsse, die sich zunächst sanft über Japanpapier ausbreiten, erhalten plötzlich im spontanen Einfall von Härte und Schwere eine mit Sand, Leim und Kaffeesatz erzeugte rauhe Tektonik ihrer Oberfläche. Über den leicht-füßigen Tanz anmutiger Körpergebärden lagern sich spröde Elemente des Alltäglichen. Figurationen graben sich als Ritzungen in die Farbhaut ein. In den narrativen Momenten des Malprozesses spiegeln sich die kontroversen Erfahrungen des Lebensablaufs. Schon bald wird sich diese Spannung auf den Gemälden farbmateriell in einem abrupten Nebeneinander von hellen transparenten Tonflüssen vor krustig dunklen Asphaltlackhinterlegungen verfestigen.

Selbstbildnisse, die sich hinter Werktiteln wie Beinahe selbst, Windsbraut, Wanderdüne oder Explosion verschlüsseln, durchleuchten die Reaktionen der Sinne und der Psyche auf eine Zeitgenossenschaft in einem veränderten Gesellschafts-kontext. Das im Osten kultivierte sentimentale Lebensgefühl einer subjektiven Autarkie, die sich in der Kunst gegen eine reglementierte Masse Mensch zur Wehr setzt, relativiert sich nun an den lockenden Klischeebildern des kapitalistischen Konsums. Die traumverlorene Innenwelt der früheren Jahre hat an Boden verloren, eine vitale Neugier sucht nach dem Fremden, um eine innovative Einkreisung der eigenen Identität zu leisten. Dieser rigorose Anspruch schlägt sich in Tage-büchern nieder, deren Oszillogramme sowohl die Grundmuster des urbanen Lebensgefühls in einer westlichen Großstadt wie auch die veränderte Selbstwahrnehmung in Gestalt von Wort- und Zeichnungsniederschriften erfassen. In dieser intuitiven Interaktion fluoreszierender Bilder und Texte friert der Kunstvollzug zentrale Augenblicke des täglichen Erlebens ein, verlängert sie in die Zukunft und ermöglicht zugleich ein diskursives Feedback zu den gespeicherten Erinnerungen, die bereits früher malerischen Niederschlag gefunden haben.

Als die Mauer Ende 1989 fällt, lässt Cornelia Schleime die ostdeutsche Vergangenheit hinter sich, in die sie die Begegnungen mit den alten Freunden aus dem Osten noch einmal zurückholen könnten. Ausgestattet mit einem Jahresstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, das ihr den Aufenthalt im legendären Atelierhaus P.S.1 ermöglicht, setzt sie sich den überbordenden Oberflächenreizen vo New York aus. In Bann gezogen von dem Bilderecycling des Trivialen in der Werbung und den Inszenierungen des Starkults imitiert sie in eigenen Kostümierungen die Posen und Gebärden, die sie in der Reklame- und Glamourwelt verortet. Mit dem Malpinsel erprobt sie Methoden der Übertreibung, wobei der Effekt des Theatralischen von Ironie hinterfangen wird. Mäuse verknäueln einander mit endlosen Schwänzen, und Bilderserien von Bananen, Porree- und Spargelstangen haben ein maßlos übertriebenes Längenformat. Neben derartig parodistischen Anverwandlungen von Pop-Art-Strategien lassen sich persiflierende Übernahmen konzeptueller Serieneffekte beob-achten, die sich zu Wiederholungen und rituellen Variationen eines Themas verselbständigen und 1996 in den Tuscheblättern langbezopfter Mädchen kulminieren werden. Auffallend an Schleimes New York-Aufenthalt ist die Brechung der Glamour-Faszination in einer Distanz, die sich je nach Befindlichkeit zwischen Ironie und Melancholie bewegt.

Um 1994 bündelt sich der bildnerische Zugriff auf die Erfahrungen der Realität ausschließlich in Malerei und Zeichnung. Eine breit gefächerte Palette von Gemäldeserien, die allesamt spezifische Aspekte des klassischen Porträtgenres in sich tragen und sich dieser Zuweisung dennoch entziehen, thematisiert Differenzen zwischen Pose und Individualität.

Den Gemälden ging zwischen 1992 und 1993 eine Folge von fotografischen Selbstinszenierungen voraus, in denen Cornelia Schleime nach Akteneinsicht den Observierungen ihrer Person durch die Zuträger der Stasi einen bildnerischen Reflex gab. Besonders getroffen fühlte sie sich von jenen Berichten, die inoffizielle Mitarbeiter über ihre Intimsphäre angefertigt hatten. Als sie diese las, hatte sie das Gefühl, man hätte ihr die Vergangenheit gestohlen. Mit hyperbolischer Ironie kommen-tierte sie ihrerseits die denunziatorischen Kommentare ihrer Person und holte sich mit künstlerischen Dynamisierungen der Vergangenheit ein verlorenes Stück ihrer Individualität zurück.

An Porträts von Schauspielerinnen wie Marylin Monroe oder Liz Taylor, deren Starkult zu diesem Zeitpunkt bereits längst Teil der Mediengeschichte geworden war, exemplifiziert Schleime ihre Einsichten in die Konstruktions- und Dekonstruktionsmethoden der Idolisierung, wobei es ihr darauf ankommt herauszufinden, wie weit das Repertoire von Kostümstaffage, Schminke und Mimik variierbar ist. Derartige inszenatorische Erprobungen werden nachfolgend auf die Bildnisse erfundener oder aus Kunst und Literatur entlehnter Gestalten übertragen. Bildtitel wie Nora (1999), Die Herrin (2002), Die Kommissarin (2002), Princess Kaiulani (1999) weisen auf den malerischen Vorgang einer abgewandelten  Nachinszenierung hin, die den Regieeinfällen bei der Schaffung eines Charaktertypus auf die Schliche kommen will. Delikat ist an diesen scheinbar mime-tischen Bildern die konzeptuelle Öffnung überkommener Rollenmodelle für die Vortäuschung von Individualität. In diese Phalanx fiktiver Gestalten und personaler Simulationen reiht die Künstlerin gelegentlich Selbstbildnisse ein, die auch das eigene Konterfei dem Vexierspiel von Anschein und Wahrheit aus-setzen. Je offenkundiger physiognomische Ähnlichkeit wie in den Gemälden Flieger (2995) und Anwärterin (1997) sichtbar ist, um so intensiver wird der Betrachter verunsichert, ob diese Bilder in der Tat als Selbstbildnisse gelesen sein wollen. Die Vorliebe der Künstlerin für Verwandlungen und Kostümierungen schafft sich hier mit einer ordentlichen Portion Selbstironie Abbilder ihrer Maskeraden, während sich das eigentliche Selbst in seiner subkutanen Authentizität nur in Stellvertreterbildnissen Schicht für Schicht enthüllt.

Diese Funktion übernehmen die vielen Kinder- und Mädchenporträts, in denen Cornelia Schleime ihrer malerischen Zeitmaschine komplizierte Projektionen abfordert. Erinnerungen an Erlebnisse aus der eigenen Kindheit verbinden sich mit den Sehnsüchten und Wunschidentitäten, die Erwachsene in eine idealisierte zwangfreie Kindheit hineinblenden. In ihren Zeichnungen holt sich Cornelia Schleime die Widersprüche ihrer Kinderzeit als anekdotische oder ein Sprichwort überzeichnende Parabel in die Gegenwart hinein. Wie in den Collageromanen von Max Ernst metaphorisieren allerlei Gerätschaften aus dem Illustrationsfundus alter Nachschlagewerke das Changieren der Vorstellung zwichen Neugier und Angst, Qual und Lust. Doch was bei Max Ernst rätselhafte Komplizenschaft mit aus dem Unterbewussten auftauchenden Bildern ist, verwandelt sich in Schleimes Animationen und Mutationen zum Trick der Parodie, der die verborgenen Widersprüche stellvertretend für das eigene Ich in den erfundenen kindlichen Subjekten aufspürt. In den fiktiven Posen der Kinder-Porträts gibt es die Schwestern  von Lolita und Alice, die einem somnambulen Exhibitionismus frönen und ihre erotischen Träume selbstverloren nach außen kehren. Und es gibt Unsere Besten (2002) oder den Kleinen Tiroler (2001), die sich den Dressuren der Erwachsenen zu fügen scheinen, aber hinter dem anerzogenen Gehorsam ihre kindliche Sehnsucht nach Ausbruch nur mühsam verbergen. In alle diese Kinder- und Mädchenposen, deren aufreizende Zeichnung zuweilen an Balthus und Klimt heranrückt, malt die Künstlerin spezifische Augenblicke ihres Ich-Bewusstseins hinein. Das illusionistische Bild liefert auf diese unaufdringliche Weise die Figuration einer unsichtbaren Realität.

Nur auf den ersten Blick ist die thematische Kluft groß, die sich zwischen den rasch nacheinander folgenden Porträtserien der verschiedenen Fimdiven und den Nonnenbildern auftut. Denn in ihrem malerischen Arrangement formulieren beide Serien mit Hilfe eines starken Close-up und surrealen Attributen einen verfremdenden Kommentar. Das Porträt von Doris Day auf dem Bild Mitternachsspitzen (1998) synthetisiert beinahe unmerklich mehrere Zeitebenen. Der gespannte Blick der Schauspielerin auf ein unerwartetes Geschehen deckt sich nicht mit unserer Rückerinnerung an den komödiantischen Film von 1960. Denn die scheinbare Filmstill-Einstellung erhält duch das Repoussoir eines nur in schemenhaften Details sichtbaren schwarzen Voile-schleiers eine gespenstische Anmutung, in die sich das Verblassen des Filmruhms hineinschiebt. Aus den irrlichternden Kontrasten der Farben und Schlagschatten schafft der Malprozess ein doppelbödiges Illusionsbild, das in die Hautoberfläche des inszenierten Rollenporträts auch dessen subkutane Ansicht hineinmischt. Hinter diesem malerischen Fake verbirgt sich die innere Wahrheit, dass der Glamour von der ramponierenden Patina des Alterns aufgezehrt wird.

Die gleiche Dekonstruktionsmethode einer delikaten Malerei wird in den Nonnenbildern – wenn auch mit umgekehrt gepolten Vorzeichen – angewendet. Anregungen bezieht die Künstlerin hier nicht aus den Medien, sondern aus Eindrücken, die sie während einer Reise durch Brasilien sammelt. Dort ist es jedoch weniger die exotische Folklore als die Theatralik südamerikanischer Religiosität, durch die Cornelia Schleime veranlasst wird, Rückblicke auf die familiären und kirchlichen Rituale der eigenen Erstkommunion in die inszenierten Nonnen-porträts einzuschleusen.

Auslöser der Verfremdungen sind kompositorisch eingesetzte Irritationen. Cornelia Schleime verleiht den Nonnengesichtern eine laszive Sinnlichkeit und drapiert sie mit ornamentalen Beigaben, die den Gelübden einer Ordensfrau offensichtlich nicht angemessen sind. Dadurch entsteht eine ironische Brechung zwischen dem spirituellen Anspruch der Bild-bezeichnung und ihrer Darstellung. In dem Nonnenbildnis, das den Namen Hoc est corpus meus trägt, stehen die lateinischen Worte aus dem eucharistischen Hochgebet der katholischen Kirche in provokanter Spannung zum erotisch angehauchten Porträtprofil einer jungen Nonne unter ornamental gemus-tertem Schleier, das die Formel der Transsubstantiation ihrer auratischen Aufladung beraubt und auf ihre lapidare Wört-lichkeit zurückführt: Das ist mein Körper.  Cornelia Schleime implementiert in diese sinnlich aufgeladenen Darstellungen der Bräute Christi den biografischen Kontext ihrer eigenen Erstkommunion: Erinnerung an die Ängste von damals, für den Eintritt des Herrn in den eigenen sündigen Leib nicht würdig zu sein und doch die Feierlicheit des Rituals in seiner ästhetischen Dimension so sehr zu genießen. „Von Angesicht zu Angesicht“[7] wird das Ich der Künstlerin deckungsgleich mit ihrem Gegen-über in den psychoanalytischen Verdichtungsprozessen ihrer Malerei, die sich Schritt für Schritt ein Bild des Sublimen im Realen schafft. 1999 porträtiert sich die Künstlerin als Erstkommunikantin mit Kranz und Schleier auf einem Gemälde, das mit dem gemalten Oval eines Passepartouts ein foto-grafisches Konterfei simuliert. Doch das Kind hat die Naivität des unmittelbaren Erlebens verloren, es trägt unverkennbar die Gesichtszüge und den melancholischen Ausdruck einer Erwachsenen. In einem Statement bekennt Cornelia Schleime: „Malerei ist wie ein Schwamm, der Aggressivität und Melancholie aufsaugt.“[8]

 

© Karin Thomas

 

(In: Cornelia Schleime. Fred Thieler Preis für Malerei 2004. Berlinische Galerie, S. 7-14.)

 


Anmerkungen

[1] Siehe Cornelia Schleime, „Ich wollte meinen eigenen Papst malen…“ Im Gespräch mit Christiane Bühling, in: Ausst.-Kat. Cornelia Schleime: „Das Paradies kann warten“, Galerie Michael Schultz, Berlin 2003, S. 35ff.

[2] Statement der Künstlerin, veröffentlicht auf ihrer Homepage www.cornelia-schleime.de

[3] ebd.

[4] ebd.

[5] Eckhart Gillen, Cornelia Schleime: Ich male, also bin ich, in: Ausst.-Kat. Cornelia Schleime, Von Angesicht zu Angesicht, Galerie Michael Schultz, Berlin 2002, S. 5

[6] ebd.

[7] siehe Anm. 5

[8] Statement der Künstlerin (wie Anm. 2)

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